Wie kam ich von meinen ursprünglichen Ideen zu Aventurin Waste? Jetzt geht’s richtig los …
Ich nehme den Faden aus Episode 1 in diesem Teil meiner Blogserie wieder auf.
Nachdem ich im Februar und März 2019 von den insgesamt dreieinhalb Wochen bereits etwa drei im Senegal verbracht hatte, entschied ich mich meine letzten drei Tage in einem Touristenhotel in der Gegend von Mbour zu verbringen an der Petit Côte, welche ein sehr schöner Strandabschnitt etwa 80 km südlich von Dakar ist. Direkt wieder in mein normales Leben einzutauchen war keine Option. Also genoss ich etwas westlich-orientierten Touristenluxus, bei dem ich nur an die Essenszeiten denken musste und ansonsten mich um nichts kümmern. Damit gab ich mir etwas Zeit, um über alles nachzudenken, was ich so erlebt hatte. Und zu verdauen. Was dringend notwendig war, da meine Gedanken und Gefühle mit mir Achterbahn fuhren ...
Also nahm ich nochmal ein Sept-Place, um von Kaffrine nach Mbour zu kommen. Übrigens ist eine Sept-Place ein typisches und günstiges Transportmittel, um im Senegal von A nach B zu kommen. Sept-Place, weil es ein Auto mit sieben Sitzen ist und oftmals wurden diese Autos vor sehr, sehr langer Zeit gebaut. Man macht sehr interessante und authentische Erfahrungen, was ich sehr mag. Und man lernt hier wieder eine Lektion - Du wirst schon ankommen, nicht immer so wie geplant, aber am Ende wird es funktionieren ...
Das Hotel war zu der Zeit nicht übervoll, aber immer noch ganz gut besucht - hauptsächlich von westlichen und europäischen Touristen. Ich verbrachte praktisch die drei Tage am hoteleigenen Strand. Entweder im Sand sitzend oder in einem der frei verfügbaren Liegestühle des Hotels. Und starrte über das Meer ...
Mein Hirn ging hin und her zwischen all den Eindrücken. All den Leuten, die ich getroffen hatte. All den Orte, die ich gesehen hatte. Den Gesprächen, die ich hatte. Die zugegebenermaßen manchmal ein wenig holprig waren, weil mein Französisch noch einiges an Verbesserungspotential hat, aber dennoch - die Menschen hatten mich immer gerne in ihre Gespräche integriert. Ich dachte nach über alle, die ich bei Gaia getroffen hatte. Über Cheikh und seine Chemiestudenten. Und machte Notizen von meinen Gedanken. Kleine Puzzleteile zu einem größeren Ganzen kombinierend. Meine Gedanken aufschreiben hilft mir zu Denken, es ermöglicht meinem Kopf dem Ganzen eine innere Struktur zu geben. Das funktioniert normalerweise bei mir ziemlich gut, braucht aber auch einiges an Zeit und man weiß nie, wie lange. Und Stille hilft.
Und manchmal benötigt man auch die richtigen Leute zum Reden und reflektieren, neue Einsichten zu bekommen oder neue Perspektiven. Und es ist das Gleichgewicht zwischen Stille und Menschen, welches am Ende den Unterschied macht.
Und glücklicherweise traf ich Dörte aus Hamburg dort am Strand - als einer aus einer langen Reihe von Zufällen. Das war der Beginn einer drei Tage währenden sehr intensiven Konversation über viele Dinge rund um den Senegal, die Menschen und das Leben im Allgemeinen. Und Dörte teilte mit mir viele der Erfahrungen, die sie in den letzten 20 Jahren gemacht hatte, seit sie das erste Mal als Touristin hier her kam und dann wieder und wieder zurückkehrte und unglaubliche Dinge für die Menschen des Landes getan hat. Dörte hat auch ein Buch geschrieben (“Der Schwindel”), welches sie mir an Tag 2 mitbrachte und es ließ mich nicht los, bis ich es noch am selben Tag gelesen hatte, so dass wir bereits an Tag 3 darüber reden konnten :-). Ein sehr inspirierendes Buch und eine Frau voller Energie.
Lustig war, dass sie irgendwann zu mir sagte, dass sie auch von Anfang an wusste, dass ich Deutscher sei. Weil ich im Sand gesessen und über das Meer gestarrt hatte. Nur Deutsche tun das, sagte sie :-).
Also war stundenlang über das Meer blicken und ebenso stundenlang mit Dörte reden meine einzige Aktivität neben dem Genießen der Mahlzeiten und ab und an ein Bier. Das hat tatsächlich sehr geholfen, meine Gedanken wieder zur Ruhe zu bringen.
Und es war wiederum die Serie von Zufällen, die mich weitergebracht hatte. Auf der einen Seite war es Dörte zu treffen. Und auf der anderen Seite hat auch Google etwas dazu beigetragen.
Wie schon in meiner letzten Blog-Episode erwähnt, war es die enorme Menge an Plastikmüll, die mich im Herzen so berührt hatte. Und konsequenterweise hat es auch mein Gehirn angeschubst. Ich wollte mehr im Allgemeinen über Plastikmüll verstehen. Und wie Plastik überhaupt hergestellt wird. Also was tut man? Man googelt. Ich fand heraus, dass - keine Überraschung - Plastik aus Öl gemacht wird, was ich irgendwie wusste. Und dass abhängig davon, wie man die Moleküle verbindet (z.B. in kurzen oder langen Ketten) man mal Plastikflaschen bekommt, mal Plastiktüten, mal Styropor, mal … ok, interessant. Und mein Kopf arbeitete weiter. Und irgendwann frage ich mich “kann man diese Transformation nicht umkehren?” und fragte wieder Google. Ich begann zu tippen “plastic transformation” und Google hat die Suche bereits automatisch vervollständigt mit “plastic transformation reverse”.
(Dieser Screenshot ist offensichtlich gestellt für den Zweck dieses Blogs, wie man sehen kann)
Ok, andere Leute hatten die Frage scheinbar schon gestellt. Und offensichtlich ist die Antwort ja. Also las ich weiter und es dauerte nicht lange, bis ich über einen Eintrag eines deutschen Startup stolperte, welches sich Biofabrik nennt. Ich schaute mir ihre Website an und mir gefiel immer besser, was ich sah. Scheinbar bieten sie eine Technologie an, die möglicherweise im Senegal einen riesigen Unterschied machen könnte. Ich nutzte die Chat-Möglichkeit ihres Internetauftritts, um sie zu kontaktieren und nach mehr Informationen zu fragen. Ihr Chatbot bestätigte und bat, mich bis zum Folgetag zu gedulden bis sie mir Antworten liefern würden, wenn sie am Montag zurück zur Arbeit sind.
Ich machte mich am nächsten Tag auf den Rückweg nach Deutschland und damit auch zu meiner Arbeit bei SAP in meinem normalen Leben. Aber die Auswirkung auf mein normales Leben war zu groß, um sie zu ignorieren. Ich konnte nicht aufhören, über den Senegal nachzudenken und habe in meiner freien Zeit weiter zur Biofabrik recherchiert.
Zur gleichen Zeit geschah es, dass SAP im Rahmen einer Umstrukturierung ein Freiwilligenprogramm (neben einem Vorruhestandsprogramm) in Deutschland anbot, welches sehr attraktiv war. Und ich begann zu überlegen “was, wenn”. Was, wenn ich SAP verlassen würde, eine Firma für die ich mehr als 25 Jahre gearbeitet hatte? Was, wenn ich die Aufgabe eine Wertschöpfungskette für Plastikmüll im Senegal aufzubauen, deutlich ernster nehmen würde, weil ich mehr Zeit dafür hätte? Was, wenn ich das als Social Business machen würde - einen Ansatz, über den ich von Dörte gelernt hatte? Was, wenn ich meine Berufserfahrung als Produktmanager bei SAP nutzen würde, um mir ein zweites Geschäft daneben aufzubauen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen?
Wir diskutierten dieses Szenario auch in unserer Famile und ich erhielt viel Unterstützung dafür. Und ich entschloss mich letztendlich Ende April / Anfang Mai dafür es zu tun, weil a) es einfach die perfekte Welle war, die ich abreiten musste und b) mein übriger privater Kontext auch dazu passte, da die Kinder alt genug sind und schon zur Universität gehen oder gerade auf dem Weg dahin sind. Meine Frau hat eine Arbeit. Uns geht es ziemlich gut.
Ich sah also die perfekte Welle, sah dass nichts wirklich dagegen sprach und vor allem hatte ich das Zutrauen, dass ich das schaffen kann. Und selbst, wenn ich es nicht schaffen würde, es wäre hart, aber was solls. Du kannst Dich davon wieder erholen. Und übrigens, es wird sowieso erfolgreich sein.
Meine Reise in den Senegal Mitte Februar 2019 zu beginnen und dann zu entscheiden, mein Leben auf den Kopf zu stellen, war eine Sache von 8-10 Wochen. Aber was nach irrwitziger Geschwindigkeit klingt, war am Ende nur eine logische Folge von Dingen, die sich über die letzten 8-10 Jahre aufgebaut hatten. Und nur dann brauchte ich einen Wimpernschlag um zu entscheiden.
Es gibt einen weiteren Aspekt, der für mich herausragte in diesen wenigen Monaten in einer manchmal bizarren Häufigkeit und Geschwindigkeit. Dinge passieren, die du niemals planen oder vorhersehen kannst, also bleibe offen für Veränderung und Gelegenheiten. Es wird dein Leben bereichern.
In der nächsten Episode ...
In der nächsten Episode werden wir uns vom “wie kamen wir hierher” dem “wo gehen wir hin” zuwenden. Wir werden erklären, warum wir es Aventurin genannt haben und Ihr werdet von den Herausforderungen erfahren, vor denen wir gerade stehen - und vielleicht könnt ihr ja helfen oder kennt jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt …
All the best, Achim
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