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AutorenbildAchim Becker

Episode 4: Warten

Aktualisiert: 1. Apr. 2020

Zielstrebigkeit und Geduld …



Geschwindigkeit war ein Kernthema der letzten Episode. Und jetzt??? Warten. Warten. Warten. So langsam gewöhne ich mich vielleicht daran. Oder doch nicht? Es ist auf jeden Fall eine persönliche Erfahrung, die mich zum Nachdenken bringt. Und idealerweise lerne ich auch etwas daraus. Das ist eine meiner grundsätzlichen Einstellungen - du kannst und musst immer weiter lernen. Erfahrungen machen und reflektieren mündet unweigerlich im Lernen. Und nur so entwickelst du dich weiter. Oder passt dich an veränderte Bedingungen an. Denn manchmal ändert sich deine Umgebung schneller als du denkst und wenn du dich nicht verändert hast, na dann stehst du wahrscheinlich irgendwo in der Vergangenheit - still. Und außerdem ist es langweilig nichts Neues zu lernen!

Aber warum philosophiere ich überhaupt über das Thema? Im letzten Blog Ende November habe ich Besserung gelobt und regelmäßige Berichte über Neuigkeiten versprochen. Und nun ist schon wieder Anfang März. DREI MONATE später. Es ist seitdem wieder unheimlich viel passiert, wie ihr weiter unten lesen werdet. Aber gerade sind wir in einer Phase, die zum großen Teil aus Warten besteht. Wir haben alles für die nächsten Schritte im Projekt vorbereitet, Kontakte geknüpft, Konzepte überlegt. Was nun fehlt, ist die Zusage von einem der potentiellen Geldgeber, dass sie einen Großteil des benötigten Geldes bereitstellen. Aber das dauert. Um “dicke Bretter zu bohren” braucht es eben neben Zielstrebigkeit auch Geduld.

Und da kann ich auch nicht viel machen, außer ab und an mal nachfragen, wie so der Stand der Dinge ist. Frage ich zu oft nach und baue zu viel Druck auf, führt das vielleicht dazu, dass der Geldgeber denkt, mit so einer Nervensäge will er ja auch nicht länger zusammenarbeiten. Oder vielleicht sogar im Gegenteil? Wenn ich ihm oft genug auf die Füße trete, beweise ich vielleicht besondere Zielstrebigkeit. Aber ich kenne meine Gegenüber auch nicht gut genug, um einschätzen zu können, ob bei der Person das eine oder eher das andere zieht. Also versuche ich eine Balance zu finden.

Was mir dabei auch immer wieder durch den Kopf geht, ist der Aspekt des kulturellen Lernens. Ich glaube von mir sagen zu können, dass ich ein paar sehr deutsche Eigenschaften habe, die auch bei mir noch besonders ausgeprägt sind. Ich habe schon eine ziemliche Meise beim Thema “pünktlich sein”. Ich habe eine recht ausgeprägte Fähigkeit vorhersagen zu können, wie lange es beispielsweise noch dauert, bis ich mit dem Auto irgendwo ankomme. Oder generell abzuschätzen, wie lange etwas dauern könnte. Oder was man an Terminen noch sinnvoll unterbekommt, ohne in Hektik zu verfallen. Und mein zweites Lieblingsthema ist “Struktur und eine gewisse Ordnung”. Ich liebe es möglichst komplexe Probleme zu analysieren und strukturieren. ‘Einfach kann jeder’ ist meine Devise. Und ich glaube sagen zu können, dass ich bei beiden Themen die Neigung habe zu übertreiben. Pünktlichkeit und Struktur.

Im Senegal lerne ich dazu. Und das meine ich hier absolut positiv! Es gibt manchmal Situationen, in denen man zwar einen Termin für 14 Uhr in Dakar geplant hat mit anderen. Aber es kommt halt um 12 Uhr doch noch ein Freund vorbei, der mit dir reden möchte. Und dann redet man mit diesem Freund. Der soziale Kontakt und Zusammenhalt ist wichtig! Der Mensch ist wichtig! Und ja, man kommt dann halt zu der Besprechung eine halbe Stunde zu spät. Aber das nimmt niemand wirklich übel. Und alles wohlstrukturiert vorzudenken und zu planen, führt auch nicht immer zum Ziel. Manche Dinge finden ganz andere Lösungen. Senegalesische Lösungen. Wäre ich nie drauf gekommen, aber funktioniert. Vielleicht manchmal sogar noch besser...


Ich nehme viel persönlich für mich mit aus der Zusammenarbeit mit den Menschen im Senegal..


Was ist bisher passiert?


Beginnen wir dort, wo die letzte Episode dieser Blog-Serie endete. Wir waren wieder im Senegal.


Mbeubeuss


Wir hatten ja keine Ahnung. Doch hatten wir. Aber die Bilder zu sehen oder die harte Realität zu erleben, ist etwas anderes. Ich hatte zufällig vor unserer Abreise gelesen, dass in der Nähe von Dakar in Mbeubeuss die größte Freiluftmülldeponie der Welt (!) ist. Fast 70 Hektar. War 40 Jahre lang eine wilde Mülldeponie und wurde 2015 in staatliche Verwaltung übernommen. Hier leben (!) und arbeiten 2.500 Menschen. Konnte eigentlich nur übel werden, aber wir wollten es mit eigenen Augen sehen.

Eine unendlich große Fläche mit einem riesigen Berg von Müll. LKW an LKW fahren hier rein und bringen immer mehr. Aus der Ferne sieht man Rauchschwaden von dem Gebiet aufsteigen. Man kommt mit dem Auto näher und alles ist von einer dicken Schmutzschicht überzogen. Wir schaffen es das Gelände zu besichtigen und bekommen sogar noch eine Art Führung. Wir fahren mit dem Auto den Weg entlang, den auch die Müllautos fahren. Einfach auf und ab über festgefahrenen Müll. Manchmal müssen wir anhalten, um entgegenkommende LKWs vorbeizulassen. Immer wieder Menschen links und rechts des Weges. Sie sortieren Müll. Blechdosen, Glas, Holz, … alles mögliche, was noch scheinbar einen Wert hat. Macht ja theoretisch auch SInn (circular economy). Aber wenn ich sehe, dass von Kabelresten die Ummantelung um das Kupferkabel abgebrannt wird...

Das Bild, was mir am allermeisten einen Tritt in den Magen verpasst hat, war das etwa fünfjährige Mädchen, dass am Rand des Müllwagenwegs im Müll spielt. Mit Müll. Ihre Mutter kocht drei Meter daneben wohl das Mittagessen, vielleicht die einzige Mahlzeit für den Tag. Neben etwas, was wie eine Hütte aussieht, obwohl - das ist zu viel gesagt. Eher ein Unterstand. Sie kocht in einem Topf auf offenem Feuer. Ich will nicht wissen, was sie verbrennt. Fünf Meter weiter sortieren zwei Männer Müll. 30 Meter weiter den Weg entlang brennt links und rechts der Müll. Immer mal wieder so kleine Feuer. Ist halt so, passiert. Stinkt auch hier immer so. Ich muss husten von dem Rauch. Wir fahren weiter. Nach einer halben Stunde Fahrt drehen wir um. Wir haben das Ende in die Richtung noch lange nicht erreicht, aber es reicht uns. Wir können nicht mehr.


Wenn jetzt jemand zu mir sagt “Stell Dir die Apokalypse vor”, dann weiß ich genau, woran ich denken werde…


Der Abend dieses Tages ist sehr depressiv. Sabine und ich unterhalten uns noch lange darüber. Macht das überhaupt noch Sinn, was wir hier tun? Können wir überhaupt was ausrichten? Aber am Ende siegt der Trotz und der Kampfeswille. Nichts tun ist keine Option!


Besuch in der Deutschen Botschaft


Die bis dato nur virtuellen Kontakte werden nun mit Leben aus Fleisch und Blut gefüllt. Wir treffen uns mit dem für Wirtschaft zuständigen Vertreter im Team der Deutschen Botschaft sowie seinem dazu passenden Gegenüber aus dem Team der Vertreterin der EU im Senegal. Und wir lernen bei dieser Gelegenheit auch die Deutsche Botschaft in Dakar von innen kennen, weil wir freundlicherweise den Termin dort durchführen können. Wir stellen das Gesamtbild zu Aventurin Waste vor, sprich was unsere Motivation ist, wo wir hin wollen, wie der aktuelle Plan aussieht und bekommen wertvolle Hinweise und weitere Kontakte.


Zusammenarbeit mit GIZ


Wir treffen uns mit drei Mitarbeitern der GIZ (Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit), die wir vorher nur per Mail kennengelernt hatten. Jetzt können wir in einem Raum sitzen. Wir stellen Aventurin Waste vor und besprechen gemeinsam die beste Vorgehensweise für die beiden Wochen vor Ort. Das Wissen über die lokalen Gegebenheiten und die Kontakte sind von unschätzbarem Wert für uns.


SAR

Wir beginnen unsere Reihe von Terminen bei SAR, die “Société Africaine de Raffinage”. SAR könnte unser Kunde werden für unser Endprodukt, das Pyrolyseöl. Sie zeigen uns auch in Probenbehältern, welche Produkte sie in ihrer Raffinerie erzeugen.

Nach der Vorstellung unseres Projektes sind sie zwar extrem positiv eingestellt zu dem was wir tun, sehen aber nicht, wie sie unsere noch sehr kleinen Mengen in ihre riesigen Materialströme sinnvoll einbinden können. Auch wenn wir das in dem Moment extrem schade finden, können wir das irgendwie auch wieder nachvollziehen. Aber wir reden da bestimmt nochmal irgendwann mit SAR drüber …


Total

Wir treffen uns mit Menschen der Stiftung der Total Senegal und stellen ihnen Aventurin Waste vor. Die Total Senegal Stiftung hat in 2019 etwa 30 Projekte gefördert, von denen deutlich mehr als die Hälfte mit Plastikmüll zu tun hatte. Und für 2020 haben sie sich vorgenommen noch mehr in diese gesellschaftlich wichtigen Aktivitäten zu investieren. Sie finden unseren Ansatz total klasse. Vielleicht kommen wir ja zusammen.


Andere Firmen


Wir treffen uns noch mit Geschäftsführern von anderen Firmen, mit denen wir auch unsere Pläne besprechen. Auch hier finden wir großen Rückhalt. Im Moment bahnt sich aus diesen Diskussionen potentiell eine Partnerschaft mit einem senegalesischen Unternehmen an. Die GIZ hat wieder sehr mit ihren Kontakten unterstützt. Und parallel haben wir eigene Kontakte über unser seit Sommer 2018 aufgebautes Netzwerk nutzen können.


Studenten

Wir treffen uns in Cheikhs Labor zu einem Workshop mit den durch ihn betreuten Chemie-Studenten sowie Professor Kane von der Uni Dakar (UCAD). Es wird ein reger Austausch über Aventurin Waste, die technischen Aspekte der Pyrolyse und was man tun kann, um die Umwelt im Senegal voranzubringen. Wir sind begeistert von den Studenten. Sie sind die Zukunft.


Mbour Behindertenzentrum und Schule

Wir haben das Zentrum für körperlich behinderte Menschen in Mbour aufgesucht. Auf dem Gelände wird gleichzeitig ein Schule beherbergt. Alles aufgebaut vom Senegal Hilfeverein von Frau Racké. Wir sind begeistert. Von den Menschen werden wunderschöne senegalesische Produkte hergestellt und wir suchen daraus Verschiedenes aus als Dankeschön für unsere Spender.


Kaffrine

Und natürlich mussten wir unbedingt auch nach Kaffrine, um die im Frühjahr neu gewonnenen Freunde wiederzusehen. Es war ein sehr herzlicher Empfang. Wir haben uns angeschaut, wie es auf der Bio-Farm von Chris weitergeht.

Und wir haben mit Lahat und Camille besprochen, wie wir SEN-ECOKAF unterstützen können. Lahat organisiert auch einen Debattierwettbewerb mit sechs Schulen in Kaffrine. Weil das genau auch unser Ansatz ist (Lernen statt Umlernen), vereinbaren wir hier zusammenzuarbeiten. Dem Thema werden wir einen eigenen Blog-Post widmen.


Aber auch außerhalb unserer Senegalreise waren wir aktiv.


Vorstellung im SAP AppHaus Heidelberg

Über meine Beziehungen zur SAP konnte ich Aventurin Waste im SAP AppHaus in Heidelberg vorstellen. Eine sehr coole Location. Organisiert von SAP NextGen werden hier jeden Monat Themen von Startups vorgestellt, die die UN SDGs voranbringen. Die Video-Aufnahme der Präsentation findet ihr auf YouTube.


Alliance to End Plastic Waste

Durch unsere Mitarbeit in der Initiative “ActOnPlastic” habe ich auch Daniel kennengelernt, der in dieser Initiative als Sustainability Expert die beteiligten Teams unterstützt. Daniel arbeitet in einer Firma, die wiederum Mitglied der AEPW (Alliance to End Plastic Waste) ist. Und diese wiederum stellen einiges an finanziellen Mitteln bereit, um weltweit Projekte aus allen möglichen Gebieten finanziell zu fördern, die etwas gegen den Plastikmüll tun. Natürlich haben wir einen Projektvorschlag bei denen eingereicht und warten jetzt auf ihr Feedback.


Besuch bei Biofabrik

Im Januar war ich auch nochmal in Dresden bei der Biofabrik und habe einem Probelauf der Anlage beigewohnt. Und konnte eine frisch gezapfte Probe mitnehmen.


Und damit sind wir in groben Zügen auf dem aktuellen Stand mit den bisherigen Entwicklungen und können uns der Zukunft zuwenden.

Was steht an?

Finanzierung


Wir konzentrieren uns aktuell komplett auf das Finanzierungsthema und machen parallele Weg auf. Neben der Total Stiftung und AEPW sind wir auch mit der DEG (Tochter der KfW) im Gespräch. Und arbeiten aktiv an weiteren Optionen.

Sobald wir eine Bestätigung haben, werden wir wieder in den Senegal fahren und dort die nächsten Schritte anstoßen.


Founder Summit Wiesbaden


Aus der Vorstellung von Aventurin Waste im SAP AppHaus hat sich noch die Möglichkeit ergeben, am 18. und 19. April Aventurin Waste auf einem eigenen kleinen Stand mit anderen Projekten im Kontext Sustainability auf dem “Founder Summit” in Wiesbaden vorzustellen. Nach eigenen Angaben “Deutschlands größtes Event für Start-Up, Unternehmertum und Persönlichkeitsentwicklung”. Das bietet uns wieder eine riesige Chance weitere Unterstützer zu finden und unser Netzwerk drastisch auszubauen.

Niemand hat gesagt, es wird einfach, aber es ist es definitiv wert und lohnend aus vielerlei Hinsicht!

Seit Anfang diesen Jahres gibt es übrigens auch einen regelmäßigen Newsletter. Wenn ihr den erhalten möchtet, meldet euch doch bitte per Mail bei newsletter@aventurin.one .


In der nächsten Episode ...


In der nächsten Episode dieses Blogs werden wir darüber erzählen, wie es mit den Geldgebern weitergeht und welche Schritte wir dann umsetzen. Und welchen Standort wir auswählen. Und mit welchem Partner wir Aventurin Waste im Senegal aufbauen. Und in welcher Rechtsform. Und mit welchen begeisterten Unterstützern.


All the best, Sabine und Achim



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